zepcon

COVID-19: Lockdown light (29.10.2020)

Der Corona-Crash vom März und April des Jahres ist uns allen noch sehr stark in Erinnerung. Auf einen massiven Kursrutsch folgte eine unglaublich rasche Erholung. Einiges deutet darauf hin, dass es wieder zu Rückschlägen kommen könnte, doch es lohnt sich ein etwas differenzierter Blick auf gestern, heute und morgen.

Gestern

Als die Corona-Welle im Frühjahr über uns hereinbrach, war so gut wie gar nichts bekannt, weder über das Virus, noch über die Erkrankung – ein strikter Lockdown erschien vielerorts als richtige Lösung. Die meisten Menschen begrüßten diese Vorgehensweise, die wirtschaftlichen Auswirkungen blieben allerdings lange unterschätzt und waren massiv.

Heute

Die Infektionszahlen steigen derzeit in einigen Industrienationen wieder rapide an. Vielerorts werden z.T. massive Restriktionen verhängt, Lockdowns wie im Frühjahr sind jedoch aktuell (noch?) nicht absehbar. Sie werden sich vielleicht fragen, was dann in Deutschland, Spanien, Frankreich und möglicherweise auch demnächst in Österreich passiert: Massive Einschränkungen, sogenannte 'Lockdowns light' oder 'differenzierte Lockdowns'. Überall wird versucht, mit Beschränkungen in Gastronomie und Freizeit etc., die sozialen Kontakte zu reduzieren. Doch meist bleiben Arbeitsorte und Geschäfte geöffnet. Vielfach wird im Home Office, das inzwischen großteils gut funktioniert, gearbeitet. Schulen und Kindergärten bleiben überwiegend geöffnet. Was ist also der Unterscheid zum Frühjahr? Ziel der aktuellen Maßnahmen ist es, eine Überforderung der Gesundheitssysteme zu vermeiden und somit den gesundheitlichen Schaden möglichst gering zu halten. Gleichzeitig sollen die Lieferketten möglichst nicht wieder unterbrochen werden. Der massive wirtschaftliche Einbruch wird uns dadurch (hoffentlich) erspart bleiben. Die Mobilität lt. Google Activity Index ist nach wie vor recht hoch, die Konsumausgaben sind insgesamt nur leicht gesunken. Die meisten sogenannten Frühindikatoren sind zwar rückläufig, aber noch immer im positiven Bereich.

Die guten Quartalskennzahlen vieler Unternehmen und Volkswirtschaften helfen allerdings nur bedingt beim größten Einflussfaktor auf die Finanzmärkte, dem 'Sentiment'. Dieses ist derzeit vorsichtig, zurückhaltend und skeptisch. Dadurch gibt es relativ wenig Liquidität auf den Aktienmärkten, wodurch die Schwankungen automatisch zunehmen.

Wir kennen die Auswirkungen der Pandemie im Frühjahr, allerdings wissen wir nicht, wie sich die aktuellen Entwicklungen auf die Märkte auswirken werden. Hier gleich auch der Hinweis darauf, was 'die Märkte' bedeutet, nämlich idR. die großen breiten Aktienindizes, wie S&P500, Dow Jones Industrial, Eurostoxx, DAX etc. Diese unterscheiden nicht nach Branchen, möglichst viele Unternehmen aus allen Branchen sind dort abgebildet. Wir wissen allerdings, dass es durch die Pandemie nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner gibt! Erinnern Sie sich noch an meine zuletzt beschriebene Unterscheidung in 'Bleib-zu-Hause' und 'Ausgeh'-Sektoren?

Die Wahlen in den USA befeuern die Unsicherheit v.a. im größten Finanzmarkt der Welt: den USA. Doch interessanterweise weniger wegen des Ausgangs, sondern eher auf Grund hunderter mittlerweile eingebrachter Klagen wegen möglichen Wahlbetrugs durch Briefwahl. Der Anteil der Briefwähler wird durch die Pandemie stark steigen, was den Republikanern offenbar ein Dorn im Auge ist… Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das endgültige Ergebnis der Wahlen länger auf sich warten lassen könnte! Das ist es, was den Anlegern Kopfzerbrechen bereitet. Ob der Präsident Trump oder Biden heißen wird, ist für die Finanzmärkte wohl relativ egal. Beide stehen sowohl für positive wie auch für negative Auswirkungen. Letzte Umfragen sehen übrigens Biden noch immer vorne, allerdings schmilzt sein Vorsprung…

Morgen

Sämtliche Prognosen für das kommende Jahr sind äußerst positiv, insbesondere sobald eine medizinische Lösung (Impfung) für die Pandemie gefunden sein sollte; sowohl volkswirtschaftlich gesehen, als auch generell für die Aktienmärkte, besonders für einzelne Branchen ('Bleib-zu-Hause'-Branchen und nachhaltige Investments). Ich könnte mir gut vorstellen, dass diese sogar zu niedrig ausfallen, nachdem leider allzu oft auf Kennzahlen fokussiert wird, die in Situationen wie diesen keine Aussagekraft haben, bspw. das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Dadurch entsteht bei vielen Menschen (mitunter auch Profis) der Eindruck, Aktien wären schon teuer, vielfach vielleicht zu teuer. Dabei sollte man vielmehr klassische, längerfristige Bewertungskennzahlen zur Beurteilung heranziehen. Der Wert eines Unternehmens hängt in erster Linie von seinen zukünftigen Cash-Flows (vereinfacht den Umsätzen) ab. Diese werden auf die Gegenwart abgezinst und ergeben in Summe einen aktuellen (Bar-)Wert. Zur Abzinsung verwendet man meist den 'risikolosen Zins' plus einen Risikoaufschlag, den man für sein Risiko erwartet, bspw. 3% p.a. Der 'risikolose Zins' orientiert sich an Spareinlagen oder Staatsanleihen und genau da gab es in den letzten Monaten massive Veränderungen. Nun ist auch in den USA dieser risikolose Zins von 4 - 5 % auf etwa 1% p.a. gefallen und wird, zumindest lt. den Ankündigungen der großen Notenbanken weltweit, eine Weile dort auch bleiben! Wenn zukünftige Cash-Flows mit geringeren Zinssätzen abgezinst werden, steigen automatisch die Unternehmensbewertungen, selbst wenn die Umsätze in den nächsten Jahren stark sinken sollten:

Szenario 1 zeigt die Bewertung vor den Zinssenkungen. Szenario 2 unterscheidet sich von 1 lediglich durch die Höhe des 'risikolosen Zinses', der von 5% auf 1% p.a. gesunken ist. Szenario 3 zeigt die Bewertung bei bereits reduziertem Rechnungszins und Umsatzeinbrüchen von -20 % in den nächsten zwei Jahren, danach etwas höheren Steigerungen. In beiden Fällen steigt der Unternehmenswert um mehr als das Doppelte!

Der 'Aktienmarkt' ist also sicherlich nicht teuer! Die privaten amerikanischen Investoren, die in Summe Aktien im Wert von rd. 32 Bio. US-$ halten, werden dies wohl in den kommenden Monaten sukzessive realisieren und ihre Bestände massiv erhöhen (müssen). Davon dürften wir dann alle profitieren…

Unerfahrene Anleger versuchen gerne, zur 'richtigen' Zeit zu verkaufen – abzuwarten – und zum 'richtigen' Zeitpunkt wieder zu kaufen. Dieses Timing ist jedoch kaum möglich! Das ist pures Glückspiel, denn wer kennt schon die Zukunft, wer soll schon wissen, wo Höchst- und Tiefstände sind!? Besonders nachteilig wirkt sich dabei aus, wenn man die besten Tage an den Börsen verpasst, die oft unmittelbar auf die schlechtesten folgen!

Fazit

Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam diese unwirkliche Zeit gut überstehen und in absehbarer Zukunft wieder ruhigere Phasen erleben werden. Es ist für uns Menschen oft so schwierig, doch gerade bei Investments entscheidend: Bewahren Sie Ruhe!

Sollten Sie überlegen, neu zu investieren, aber wegen der Unsicherheiten zögern, dann hätte ich folgenden Tipp für Sie: Sie könnten natürlich einen möglichen Kursrückgang abwarten, doch auch hier gilt das zuvor Gesagte: Timing ist kaum möglich und bei langfristigen Strategien ohnehin nicht wirklich wichtig! Wenn Sie aber mit einem ähnlichen Szenario wie im Frühjahr 2020 rechnen, dann wäre ratierliches Investieren über einige Monate eine bewährte und gut funktionierende Möglichkeit. Hier ein Beispiel dazu mit echten Daten aus 2020:

€ 50.000,- wurden gleichmäßig über 9 Monate von 15. Jänner bis 15. September investiert. Trotz (oder mit Hilfe des Kursrutsches im März) betrug der Stand am 15. Oktober € 54.232,- und unsere Anlegerin erzielte einen Gewinn von € 4.237,-. Ratierliches Investieren ist also ebenfalls ein probates Mittel, in Ruhe und Gelassenheit investieren zu können.

Und Sie wissen ja: die beste Basis für Vermögen wird v.a. in Krisen gelegt!